Februar-Special
Es war einmal …
Ist das wohl der häufigste erste Satz?
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Terry Pratchett: The amazing Maurice |
Die ersten Worte, mit denen eine Geschichte startet, leiten die Story ein. Sie sind das erste, das jemand liest. Potentielle Leser müssen mit ihm überzeugt werden. Der erste Satz muss zum Buch passen, zum Stil. Er muss ein bisschen vom Inhalt verraten und neugierig machen. Die Stimmung sollte rüberkommen, der Leser sollte wissen, woran er ist.
So die traumhafte Vorstellung vom ersten Satz.
Es waren einmal … erste Sätze:
Es gibt kurze erste Sätze:
I run. (Slated, Teri Terry)
Es gibt lange erste Sätze:
If you really want to hear about it, the first thing you’ll probably want to know is where I was born, and what my lousy childhood was like, and how my parents were occupied and all before they had me, and all that David Copperfield kind of crap, but I don’t feel like going into it, if you want to know the truth. (The Catcher in the Rye, J.D. Sallinger)
Tatsächlich wissen wir vom kurzen ersten Satz schon mehr als vom langen zweiten. Der zweite bringt natürlich durch die vielen Wörter direkt die Stimmung der Geschichte näher.
Der erste Satz des meistverkauften Buches:
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.
Jetzt erst mal nicht sonderlich packend, aber man kennt ja den allgemeinen Stil. Passt also ;-)
Manche erste Sätze erklären, was den Leser erwartet:
Das Buch handelt weitgehend von Hobbits, und aus seinen Seiten kann ein Leser viel über ihren Charakter und ein wenig über ihre Geschichte erfahren. (Der Herr der Ringe, J.R.R. Tolkien)
Wie wir alle wissen, verspricht der Autor da nicht zu viel!
Man kann natürlich auch mit dem Ende anfangen:
Das letzte Kapitel
„Eines Tages“, sagte sie, „fange ich Träume ein wie Schmetterlinge.“ (Arkadien erwacht, Kai Meyer)
Dieser Anfang impliziert das Ende, verrät jedoch noch nicht genau, wie die Geschichte ausgeht. Es stehen keine Namen da und der Leser kann sich fragen: „Wie ist es dazu gekommen?“
Und hier ein Anfang von einem der bekanntesten Typen: Shakespeare
Simson: Auf mein Wort, Gregorio, wir wollen nichts in die Tasche stecken. (William Shakespeare)
Es handelt sich hier um erste Worte im wirklichsten Sinn, denn sie sind als Theaterstück gedacht und jemand spricht sie. Der Zuschauer wird in ein Geschehen geworfen und ist direkt Teil der Situation. Ein Konflikt wird direkt impliziert. Wie wird es weiter gehen? Und wisst ihr, um welches Stück es sich handelt? ;-)
Ein wundervoller Eye-Catcher ist dieses Türschild:
Diese Inschrift stand auf der Glastür eines kleinen Ladens, aber so sah sie natürlich nur aus, wenn man vom Inneren des dämmrigen Raumes durch die Scheibe auf die Straße hinausblickte. (Die Unendliche Geschichte, Michael Ende)
Ich mag Bücher, die mit kleinen Illustrationen oder einer ungewöhnlichen Anordnung der Wörter spielen. Die Unendliche Geschichte ist da natürlich noch ganz besonders, mit unterschiedlichen Schriftfarben zum Beispiel. Die spiegelverkehrte Schrift leitet direkt ein in eine phantasievolle Welt.
Und hier noch ein paar, weil es so schön ist:
Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. (Harry Potter und der Stein der Weisen, J.K. Rowling)
Chapter One
In which we are introduced to Winnieh-the-Pooh and some Bees, and the stories begin
Here is Edward Bear, coming downtairs now, bump, bump, bump, on the back of his head, behind Christopher Robin. (Winnieh the Pooh, A.A. Milne)
Die gelben Schlüsselblumen waren verblüht. (Unten am Fluss, Richard Adams)
Als ich aufwache, ist die andere Seite des Bettes kalt. (Die Tribute von Panem, Suzanne Collins)
Ich weiß, dass etwas Furchtbares passiert sein muss, als Tomma den Raum betritt. (Die Verratenen, Ursula Poznanski)
Dear Friend, I am writing to you because she said you listen and understand and didn’t try to sleep with that person at that party even though you could have. (The Perks of being a Wallflower, Steven Chbosky)
Dorothy lived in the midst oft he great Kansas prairies, with Uncle Henry, who was a farmer, and Aunt Em, who was the farmer’s wife. (The Wizard of Oz, L. Frank Baum)
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Neil Gaiman: Coraline |
In alten, alten Zeiten, als die Menschen noch in ganz anderen Sprachen redeten, gab es in den warmen Ländern schon große und prächtige Städte. (Momo, Michael Ende)
Der blondhaarige Junge glitt das letzte Stück Felsen hinab und begann, sich zur Lagune durchzuarbeiten. (Herr der Fliegen, William Golding)
Coraline discovered the door a little while after they moved into the house. (Coraline, Neil Gaiman)
It was a bright cold day in April, and the clocks were striking thirteen. (1984, George Orwell)
Der schönste erste Satz in einem deutschen Roman wurde 2007 von einer sechsköpfigen Jury unter mehr als 17.000 Einsendungen gewählt: „Ilsebill salzte nach.“ Aus Günter Grass‘ Der Butt. Dabei spielten die Begründungen der Einsendungen eine Rolle.*
Würdet ihr weiterlesen? Habt ihr weitergelesen?
Kommen wir zum ersten Satz einer Geschichte, die mir sehr viel bedeutet:
Alice was beginning to get very tired of sitting by her sister on the bank, and of having nothing to do (Alice in Wonderland, Lewis Carroll)
Für eine Kindergeschichte finde ich das einen schönen Anfang. Für Alice im Wunderland ist es passend: Es wird etwas passieren, aber das Ganze ist eher unaufgeregt. Jedoch nicht ohne eine große Portion Magie und Sprachwitz ;-)
Okay, mein Lieblingsbuch:
Rats! (The amazing Maurice and his educated rodents, Terry Pratchett)
Hm.
Vielleicht geht es doch um Anfangs-Paragraphen. Ich gebe euch mehr:
Rats!
They chased the dogs and bit the cats, they–
But there was more to it than that. As the amazing Maurice said, it was just a story about people and rats. And the difficult part of it was deciding who the people were, and who were the rats.
Dieser erste Absatz beinhaltet direkt die Deutung der Geschichte, dass Menschen oft Ratten sind. (Naja, EINE Deutung der Geschichte.) Er gibt die Lesart vor und verrät, worauf man bei der Lektüre achten soll. Wir lassen uns hier auf ein Buch ein, in dem es um Ratten geht und um fiese Menschen. But there was more to it than that.
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A.A. Milne: Winnie-the-Pooh |
Erste Sätze sind also recht unterschiedlich. Sie erklären, worum es geht. Oder sie werfen einen ohne Einleitung in die Situation. Oder sie werfen direkt das Thema auf. Oder das Problem der Geschichte. Oder sie beschreiben erst einmal nur die Stimmung des Buches.
Der erste Satz, oder Absatz, aber MUSS den Leser so berühren, dass er weiterlesen will. Nur wenige Menschen lesen weiter, wenn der Anfang nicht fesselt, zum Beispiel wenn sie das Thema interessiert, jemand ihnen das Buch empfiehlt oder es sich um einen Klassiker handelt. Ich persönlich habe keine Vorlieben. Von Geschichte zu Geschichte passt ein anderer Anfang besser. Und am Ende des Buches muss man nach vorne blättern, um sich überhaupt an sie erinnern, obwohl sie so entscheidend sein können.
Hier gibt es eine coole Infografik mit vielen ersten Sätzen
* Links zur Wahl des schönsten Satzes
Spiegel
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Welt
Was denkt ihr über erste Sätze? Welchen habt ihr am liebsten?