August-Special
Das Ganze ist etwas theoretisch geworden, sorry … :-D
Ich liebe Dystopien. Was das über mich aussagt, weiß ich nicht, aber ich kann nicht die einzige sein bei den vielen Anti-Utopien in den Buchhandlungen. Besonders im Young-Adult-Bereich schlugen sie in den letzten Jahren ein (
Panem,
Maze Runner,
Die Verratenen,
Divergent) und es werden auch weiterhin einige veröffentlicht (
Das Juwel,
Mind Games,
Red Queen). Die Erwachsenen-Dystopien reihen sich viel bei den Klassikern ein,
1984,
Fahrenheit 451,
Make Room! Make Room!. Wenn mir jemand neue empfehlen kann, freue ich mich sehr :-) (
The Circle mochte ich übrigens nicht :-D)
Was ist eine Dystopie? In der Uni habe ich mich damit beschäftigt und gebe euch hier kleine Auszüge aus einer Arbeit von mir:
Die Dystopie als literarische Gattung bezeichnet im Allgemeinen eine im Vergleich zur realen Wirklichkeit des Autors negative Zukunftsvorstellung, die in Form eines literarischen Textes ausgestaltet wird. Seinen Ursprung hat diese Art Literatur schon sehr früh in der Utopie, welche einen positiveren Weltentwurf im Vergleich zur Gegenwart der Entstehungszeit aufzeigt. (Morus'
Utopia habe ich auch gelesen, interessant aber ohne Spannungsbogen :-P)
Sie sind „Idealbilder der Zukunft“ (Meyer 2001: 18), entworfen zum Beispiel von den „alten Utopisten bis Karl Marx“ (Meyer 2001: 18) und sogar Platon (vgl. Zeißler 2008: 15) in seiner Politeia. In ihnen wird dargelegt, „wie schön es sein könnte, wenn alle Menschen den trefflichen Vorschlägen folgten“ (Meyer 2001: 18).
Der positiven Utopie wird die negative Dystopie entgegengesetzt. Stephan Meyer bezeichnet sie als Anti-Utopie, die „zunächst als literarische Utopie-Kritik definiert“ (Meyer 2001: 12) wurde und somit aus den Utopien heraus entstand. Als selbstständiger Genrezweig setzte die Dystopie sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch (vgl. Meyer 2001: 12; Claeys 2011: 175).
Das Wort Dystopie ist abgeleitet von der Utopie (griechisch), was in etwa Nicht-Ort bedeutet. Die Vorsilbe dys drückt das Gegenteil aus. Eine Dystopie ist also das Gegenteil von einem positiven, nicht zu verwirklichenden Ort: Ein negativer Ort, der nicht existiert.
Was mag ich daran? Es sind die Themen, die mich faszinieren. Die Gesellschaftskritik, den Kampf um Freiheit und Individualität, den Einsatz des eigenen Lebens für eine bessere Welt. Das übergeordnete Ziel, das der Leser mit den Figuren versucht zu erreichen, entgegen den allumfassenden Ungerechtigkeiten. Die Figuren, die für Menschlichkeit kämpfen und gegen gesellschaftliche und regimebedingte Regelungen und Systeme.
Dabei gibt es einige Dinge, die sich in allen Dystopien ähneln.
Literarisch gesehen zeigen sie die negativen Tendenzen der Realität auf, in der sie entstehen, und rufen durch die Narration „die Illusion des Wirklichen und ‚Wahrscheinlichen‘“ (Seeber 2003: 70) hervor. Aufgrund des Vorschlags für eine Verbesserung der realen Gegebenheiten situieren die Autoren ihren Inhalt häufig in der Zukunft: „Die Utopie entwirft ein Gesellschaftsmodell, welches […] die negativen Merkmale in grotesker Weise in die Zukunft verlängert, um so vor gegenwärtigen Tendenzen zu warnen (Anti-Utopie)“ (Meyer 2001: 40). (Mir fällt gerade auch gar keine ein, die nicht wenigstens ein bisschen in der Zukunft spielt. Außer vielleicht
The Circle. Aber das mochte ich ja nicht :-D)
Es werden bestimmte Gesellschaftszustände beschrieben, um den dystopischen, den negativen Charakter der Texte zu verdeutlichen. „Dafür eignen sich Endzustände politisch-sozialer Art, wie sie auf einer hoffnungslos übervölkerten, ausgebeuteten und verwüsteten Erde herrschen mögen: der perfekt gewordene Polizeistaat“ (Lübbe 1987: 88). (Man denke nur an den „Klassiker“
Panem und die Friedenswächter, an die Salvatoren an den Handgelenken der Studenten in der Eleria-Trilogie und die vermeintlichen Spiegel in jeder Wohnung in
1984.)
Es scheint um eine Umgebung und Lebenssituation zu gehen, die das alltägliche Leben mindestens unangenehm, wenn nicht fast unmöglich gestaltet. Gleichzeitig werden die Menschen von einer wie auch immer gearteten Polizei überwacht. Dies ist ein „Dauerzustand“ (ebd.), also zumindest zu Anfang der Erzählung nicht als veränderbar dargestellt. Neben den Grausamkeiten, die Menschen sich gegenseitig beibringen können, spricht Meyer auch „von der Bedrohung der gesamten Menschheit durch die Objekte, die der Mensch selbst schafft […] den Roboter und die Atombombe“ (Meyer 2001: 14). (Wie in Asimovs Roboter-Geschichten, teilweise aufgegriffen und verfilmt in
I, Robot).
Kontrolle, sowohl der Natur als auch durch eine Polizei, spielt also eine wichtige Rolle. Um diese zu behalten, arbeitet die utopische beziehungsweise dystopische Literatur mit begrenzten Räumen, zum Beispiel einer Insel, die von Einflüssen abgeschirmt ist (vgl. Meyer 2001: 34). (Die Einteilung in Distrikte in
Panem oder in Fraktionen bei
Die Bestimmung.)
Die Science Fiction bietet weitere Möglichkeiten wie neu erkundete Teile des Weltraums (vgl. Claeys 2011: 187). (Wie in der typischen Science Fiction á la
Star Trek oder auch in
Godspeed von Beth Ravis, in dem die Hauptfigur sich in einer komplett neugestalteten Gesellschaft auf einem Raumschiff wiederfindet.)
Die Menschen selbst sind eingeteilt in Klassen oder Stände. „Die jeweilige Gesellschaftsstruktur ist also bestimmt durch eine starre Gliederung in gesellschaftliche Gruppen mit einer jeweils genau definierten sozialen Funktion“ (Meyer 2001: 61). Individualität und ein freier Wille sind in dystopischen Texten unterdrückt (vgl. Chilese, Preusser 2013: 12). „Der Staat handelt und das Individuum bleibt mit seinen Möglichkeiten hinter dem Anspruch der Theorie zurück“ (Greschonig 2005: 193). (Zum Beispiel die Regulierung der Emotionen in Teri Terrys
Gelöscht oder auch in der Unterdrückung romantischer Gefühle in
Delirium von Lauren Oliver. Natürlich auch automatisch in der Begrenzung der Lebensräume wie in
The Maze Runner von James Dashner, einer fehlenden Ausbildung und Ausmerzung selbstständigen Denkens wie in George Orwells
1984.)
Innerhalb der Handlung der literarischen Dystopien stellen die Autoren dem totalitären System häufig Charaktere entgegen, die sich im Laufe der Erzählung gegen dieses auflehnen. „Die Autoren des anti-utopischen Romans brauchen also die Figur des Außenseiters, um ihre Kritik an der von ihnen selbst entworfenen Gesellschaft sichtbar zu machen“ (Meyer 2001: 125). Der Außenseiter sieht sich dem Staat gegenüber gestellt, ist als Individuum ein Gegner dessen und ist sich darüber im Klaren (vgl. Meyer 2001: 125f). Es ginge um eine Erzählfigur, „die allmählich ihre Individualität, Phantasie und Persönlichkeit gewinnt, um damit in offenen Gegensatz zum herrschenden System zu geraten“ (Meyer 2001: 15). (Meine All-Time-Favorite Katniss Everdeen, die allerdings erst überzeugt werden muss, neben Guy Montag aus
Fahrenheit 451 von Ray Bradbury und Eleria aus der gleichnamigen Trilogie.)
Wahrscheinlich lassen sich solch pauschale Aussagen nicht auf jede Dystopie zu einhundert Prozent anwenden. Aber ich erkenne auf jeden Fall die Gemeinsamkeiten der Bücher, die ich so gerne lese. Welches ist meine Lieblingsdystopie? Puh, sehr schwierig zu sagen. Ich finde, die klassischen und die modernen YA-Anti-Utopien unterscheiden sich schon sehr in ihrer Sprache, ihrer Erzählweise, den Figuren, dem Ausgang und natürlich auch der technischen Entwicklungen in der Geschichte. Die etwas älteren Geschichten sind faszinierend, weil man feststellt (wie überall in der Kunst), dass die Menschen sich „damals“ schon dieselben Gedanken gemacht haben. Und dass die negativen Zukunftsvorstellungen tatsächlich immer weiter in den Bereich des Möglichen rutschen. Man schaue sich Systeme und Länder an, die sich auf gutem Weg in den Totalitarismus befinden, die zensieren und totschweigen, die Menschen gegeneinander aufhetzen und sich von anderen Ländern abschotten. Dystopien sind und bleiben aktuell.
Okay, meine Lieblingsdystopie … ich denke die Eleria-Trilogie von Ursula Poznanski. Aber ich mag viele gerne, natürlich
Panem von Suzanne Collins,
Gelöscht von Teri Terry,
Die Bestimmung von Veronica Roth und auf jeden Fall eine meiner neuen Lieblingsreihen von Marissa Meyer, die Lunar Chronicles mit
Cinder,
Scarlet,
Cress und
Winter.
Was gefällt euch an Dystopien?
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Quellen:
Claeys, Gregory. 2011. Ideale Welten. Die Geschichte der Utopie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Chilese, Viviana; Preusser, Heinz-Peter (Hrsg.). 2013. Technik in Dystopien. Jahrbuch Literatur und Politik Band 7. Heidelberg: Universitätsverlag Winter GmbH.
Greschonig, Steffen (Hrsg.). 2005. Utopie – Literarische Matrix der Lüge? Eine Diskursanalyse fiktionalen und nicht-fiktionalen Möglich- und Machbarkeitsdenkens. Regensburger Beiträge. Zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Frankfurt a.M.: Perter Lang GmbH. Print.
Lübbe, Hermann. 1987. Rückblick auf das Orwell-Jahr: Die Schreckensutopien. In: Braun, Hans Jürg (Hrsg.). 1987. Utopien – Die Möglichkeit des Unmöglichen. Zürich: Verlag der Fachvereine an den Schweizerischen Hochschulen und Techniken.
Meyer, Stephan. 2001. Die anti-utopische Tradition. Eine ideen- und problemgeschichtliche Darstellung. Frankfurt a.M.: Peter Lang GmbH.
Seeber, Hans Ulrich. 2003. Die Selbstkritik der Utopie in der angloamerikanischen Literatur. In: Saage, Richard; Reese-Schäfer, Walter; Seng, Eva-Maria [Hrsg.]. 2003. Politica et ars. Interdisziplinäre Studien zur politischen Ideen- und Kulturgeschichte. Münster: Lit Verlag.
Zeißler, Elena. 2008. Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum Verlag.