13. Mai 2018

Muttertag in der Jugendliteratur: Wo sind sie hin?

Mai-Special

Zum Muttertag wollte ich etwas schreiben über Mutterfiguren. Positive, negative, unterstützende, liebevolle, nervige. Ich stand also vor meinem Regal und schaute die Bücher an. Und stellte fest: Mütter in Jugendliteratur glänzen durch Abwesenheit. Schauen wir uns das im Detail an. (Achtung, hier wird bedingt gespoilert.)

Kategorie 1 von 2: Mütter verschwinden

Cornelia Funke: Tintenherz

Maggie lebt bei ihrem Vater, weil ihre Mutter durch einen Zauber verschwand. Sie erinnert sich nicht wirklich an sie. Ohne dass Maggie es weiß, ist ihr Vater Mo auf der Suche nach seiner Frau und somit treibt die Liebe der Frau und Mutter die Geschichte voran.

Veronica Roth: Divergent

Tris lebt bei ihren Eltern und ihre Mutter bringt ihr Liebe und Zuneigung entgegen. Sie versucht, ich zu helfen und sie zu unterstützen. Im Verlauf der Geschichte aber zieht Tris zu den Dauntless, fort von ihrer Familie. Beim einzigen Treffen mit ihrer Mutter findet das Mädchen heraus, dass diese einige Geheimnisse vor ihr hatte. Sie entfernt sich so auch emotional von ihr. Am Ende muss Tris zuschauen, wie ihre Mutter erschossen wird und muss nun endgültig ohne sie auskommen. Trotzdem kann sie auf den positiven Erfahrungen aus der Vergangenheit aufbauen. Das wird besonders am Ende des dritten Buches deutlich.

Joanne K. Rowling: Harry Potter

Harry ist ein Waisenjunge und wohnt bei seinen Verwandten. An seine Mutter hat er keine Erinnerung, aber früh erfährt er, dass seine Eltern ihn geliebt haben. Die Sehnsucht nach ihnen treibt Harry vor den Spiegel Nerhegeb. Die geisterhaften Gestalten seiner Eltern helfen ihm im Kampf gegen Voldemort, sowohl im vierten als auch im siebten Buch. Obwohl James und Lilly Potter tot sind, möchte Harry sie stolz machen und fühlt sich durch Zauber mit ihnen verbunden. Oft genug wird Harry erzählt, dass er innerlich und äußerlich viel Ähnlichkeit mit den beiden hat. Sie stärken ihn.

Jandy Nelson: Ich gebe dir die Sonne

In diesem Jugendbuch löst der Tod der Mutter die Geschichte an sich aus. Ihre beiden Kinder verändern sich stark und trauern um sie. Obwohl sie nicht mehr da ist, beeinflussen ihre früheren Handlungen immer noch den Plot. Die Jugendlichen und der Vater müssen das Bild von ihr ständig neu erfinden und sich trotzdem von ihr lösen, um ihr eigenes Leben fortzuführen.

Amy Ewing: Das Juwel

Violet wird ihrer Familie entrissen, um als Surrogate missbraucht zu werden. Bereits zu Beginn des Buches ist sie selbstständig und hat sich emotional von ihrer Mutter entfernt. Im Gegensatz zu ihrer Schwester ist die Mutter kaum noch relevant. Stattdessen übernimmt Violet die Rolle der Beschützerin für ihre Schwester Hazel. Durch die Abwesenheit der Mutter wächst die Hauptfigur selber zu einer Art Schutzengel für die Jüngere heran.

Suzanne Collins: Die Tribute von Panem

Dasselbe Prinzip treffen wir bei den Hunger Games an. Katniss hat von Anfang an die Mutterrolle für Prim inne und opfert sich sogar für ihre Schwester. Danach muss sie sich aber von beiden räumlich entfernen. Einzig der Gedanke, dass sie diese wichtige Rolle für Prim spielt, lässt sie kämpfen. Das alles gewinnt überhaupt an Gewicht, weil ihre eigentliche Mutter ihre Pflichten vernachlässigt.


Kategorie 2 von 2: Mütter? Gibt es hier nicht.

James Dashner: Maze Runner

In dieser Dystopie gibt es – zunächst – gar keine Erwachsenen. Die Jugendlichen sind auf sich gestellt und müssen über sich hinauswachsen. Sie werden nicht angeleitet von Ratschlägen, Rollenbildern oder Fürsorge. Das lässt sich schnell erwachsen werden und sich selbst Kraft geben.

Terry Pratchett: Maurice, der Kater

Obwohl in diesem Buch zwei Kinder große Rollen spielen, sind deren Mütter und auch Väter gar nicht zugegen. Der Leser erfährt auch nichts von Keiths Familie. Die beiden und auch die tierischen Figuren müssen sich selbst aus jeglichem Schlamassel befreien und können nicht auf die Hilfe oder Ratschläge einer Mutter hoffen.

Ursula Poznanski: Die Verratenen

Ria wächst als Waise auf und ihr fällt das zunächst gar nicht so sehr auf. Sie hat Lehrer und Vertraute, die ihr zur Seite stehen. Als sie jedoch mehr über ihre Vergangenheit erfährt und das Konzept einer Familie kennenlernt, fragt sie sich nach ihrer Herkunft. Trotzdem ist sie in der Lage, für sich selbst zu sorgen und sich aus gefährlichen Situationen zu retten.

Kai Meyer: Arkadien

Die Hauptfigur dieser Trilogie ist ganz bewusst eigenständig und allein unterwegs. Rosa ist tough und fühlt sich niemandem zugehörig. Im Verlauf der Geschichte lernt der Leser, dass ihr dennoch etwas fehlt und sie auf der Suche nach einer Bezugsperson ist. Sie muss über ihren Schatten springen und allein herausfinden, wer und was ihr hilft.

Kai Meyer: Die fließende Königin

Hier wird wieder mit dem Waisen-Motiv gearbeitet. Merle arbeitet wie viele andere Jugendliche für magische Handwerker und alle sind sie auf sich gestellt beziehungsweise aufeinander angewiesen, wenn es um so etwas wie Familie geht. Das Mädchen gerät unabsichtlich in ein rasantes Abenteuer, in dem sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für die jüngere Junipa kämpft.

Mütter sind in der Jugendliteratur grundsätzlich ein wichtiger Faktor. Für Heranwachsende gehören sie zum Leben und Mutterfiguren treffen die Realität der Leser. Was die Hauptcharaktere in den Büchern aber stark macht, ist die Abwesenheit der Mütter. In der zweiten Kategorie kämpfen sich die Jugendlichen von vorn herein allein durch das Leben und die Abenteuer. Weil sie auf sich gestellt sind, wachsen sie über sich hinaus. Sie müssen selbst bestehen und können sich nicht auf den Rat einer Mutter verlassen. Die Charaktere aus Kategorie 1 hatten das Glück, mütterliche Fürsorge und Ratschläge zu bekommen oder fühlen sich ihnen zumindest verbunden. Trotzdem müssen auch sie früher oder später ohne eine Mutter, und oft auch ohne Vater, auskommen. Die emotionale und räumliche Trennung stellt sie auf eine Probe, die sie allein bestehen müssen. Plötzlich müssen auch sie für sich selbst und nicht selten auch für andere kämpfen.

Eine Ablösung von der Mutter und vom Elternhaus an sich ist etwas, das auch die Zielgruppe beschäftigt, die gerade erwachsen wird und von nun an für sich selber einstehen muss. Die Hauptcharaktere sind zunächst davon gehemmt oder lernen noch, allein klarzukommen. Die harte Probe aber lässt sie wachsen und ihre Grenzen übertreten. Sie schaffen es, ihre Abenteuer ohne mütterliche Hilfe zu bestehen, und werden zum Helden der Geschichte.

Liebe Mütter! Leider seid ihr in der Jugendliteratur eher abwesend, das liegt in der Sache der Pubertät. Trotzdem sind eure Liebe und eure Ratschläge der Motor, der viele der Hauptfiguren antreibt. Wenn die Charaktere ihr Abenteuer allein bestehen, dann habt ihr euren Job richtig gemacht. Danke für eure Unterstützung, die selbst dann greift, wenn ihr nicht da seid. In den Geschichten wie im wahren Leben.

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