Dave Eggers: Der Circle. Kiepenheuer und Witsch, Köln. 2015.
Originaltitel: The Circle
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Annies schrittweiser Zusammenbruch hat mir gut gefallen. Sie ist die einzige Figur, die im Laufe der Geschichte ihre Sichtweise ändert, und ich hätte mir noch mehr Dialoge zwischen ihr und Mae gewünscht. Dass Mae am Ende an Annies Krankenbett sitzt, ist vielleicht ein letzter Hoffnungsschimmer für beide.
Ich muss zugeben, dass Kalden der dritte Weise ist, damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe es dem Buch nicht zugetraut. Das hat mich zum Schluss dann doch noch geflasht. Er hätte sich aber wirklich mehr Mühe geben können, Mae zu überzeugen. Zwei Gespräche und Sex auf dem Klo tun’s da halt nicht.
Mercer als Gegenstimme zu Mae und dem Circle ist wichtig und sein Suizid unausweichlich. Allerdings kamen mir Mercers Worte etwas zu direkt vor. Er missbilligt den Circle und warnt vor den Praktiken und Folgen mit einer Präzision, die ich nicht verstehe, da er mit solchen Dingen eigentlich nichts zu tun haben möchte.
Der Name der sozialen Profile des Circle, TruYou, erinnerte mich sofort an die Truman Show. Sehr passend, denn in beiden Geschichten wird das gesamte Leben eines Individuums offen gelegt. Die Konsequenzen für die einzelnen Menschen werden nach und nach deutlich.
Ich finde es unglaublich, dass Mae so sehr an den Lippen Baileys und Stantons hängt, wie sehr sie sich in den Circle hinabsaugen lässt, obwohl ihre Eltern, Mercer und Kalden versuchen, ihr klarzumachen, dass da etwas nicht stimmen kann. Dass sie glaubt, Mercer zu helfen, indem sie ihn verfolgt. Dass sie es in Ordnung findet, gläsern zu sein und ihren Viewern jeden privaten Teil zu zeigen. Die Argumente des Circle sind das Recht auf jedes Wissen und das Verhindern von Verbrechen.
Dass diese jedoch keine Argumente gegenüber dem Recht auf Privatheit sind, dem Recht auf eigene Gedanken, dem Recht auf einen Neuanfang, dem Recht auf Abgeschiedenheit und Ruhe und vor allem dem Recht, selbst zu wählen, was ich möchte, das sehen die Mitglieder des Circle nicht. Das Buch streut ein wenig von der Angst, dass auch die Menschen in unserer Realität das nicht sehen und meinen, sie dürften in das Privatleben anderer eindringen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Hundertprozentige Offenheit, die Pflicht zu vollkommener Transparenz, hat totale Kontrolle zur Folge. Und was das bedeutet, das könnt ihr zum Beispiel in 1984 nachlesen. Deswegen stört mich das völlige Desinteresse von Mae an anderen Meinungen. An zwei oder drei Stellen versuchen andere Figuren, ihr die Folgen zu verdeutlichen. Doch sie tut das ab.
Die Gefahr, die hier lauert, ist also die Hauptfigur selbst. Eine Frau, die sich einlullen lässt und nicht darüber nachdenkt, was ihre Taten bewirken. Wie Kalden alias Ty in seinem letzten Auftritt sagt: „Ich meine, es war, als würde man auf dem Marktplatz eine Guillotine aufstellen. Du rechnest doch nicht damit, dass zig Leute Schlange stehen, um den Kopf reinzulegen.“ (Seite 546)
Ich frage mich … würde diese unterschwellige Warnung, die Dystopie zwischen den Zeilen dazu taugen, die Maes dieser Welt aufzurütteln?
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