James Joyce: Dubliner. Anaconda Verlag GmbH 2015. Köln.
Originaltitel: Dubliners. 1914.
Wie meine Vorsicht vor dem „schwierigen“ Autor unbegründet war
Handlung
Dubliner ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die Joyce zwischen 1904 und 1907 schrieb. Sie spielen in Dublin, der Heimatstadt des Autors, und handeln von verschiedenen Personen und ihrem Leben in der Stadt. Die Erzählungen handeln von ihrem Alltag, ihren tiefsten Gedanken und Wünschen.
Meinung
James Joyce ist bekannt für den Stream of Consciousness, den Bewusstseinsstrom. Duden definiert diesen so:
Erzähltechnik, bei der an die Stelle eines äußeren, in sich geschlossenen Geschehens eine assoziative Folge von Vorstellungen, Gedanken o. Ä. einer Romanfigur tritt*
Das trifft wirklich völlig auf die Erzählungen zu. Dennoch sind sie nicht ohne Handlung. Jede Geschichte betrachtet eine bestimmte Person und folgt ihrem Tun. Dabei halten sie oft inne und lassen ihre Gedanken schweifen, sinnieren über ihr Leben und welche Träume sie haben.
Dabei fängt der Autor das menschliche Wesen so gut ein, dass die seitenlangen Bewusstseinsströme absolut nicht langweilig sind. Denn die Figuren sind keine Helden, sie sind nicht geschönt oder absichtlich positiv dargestellt. Die Gedanken sind ehrlich und tiefgreifend. Die Männer und Frauen lassen ihr Leben Revue passieren und wünschen sich, manche Entscheidungen anders getroffen zu haben. Sie fragen sich, ob es in diesem Leben schon zu spät für sie ist oder ob sie etwas wagen sollten.
Zu Anfang war ich etwas irritiert und als verwöhnter Roman- und Happy-End-Leser auch verärgert, dass die Kurzgeschichten, wie sie es nach Definition eben tun, einfach aufhörten, oft ohne Lösung. Nach einer Eingewöhnungsphase konnte ich mich damit arrangieren und mit der Zeit fand ich es sogar gut.
Die Stimmung ist keine besonders fröhliche, denn die Figuren setzen sich mit sich selbst auseinander und reflektieren ihr Tun und Wollen. Trotzdem versprühen die Geschichten irgendwie den Charme Dublins. Es fallen Straßennamen und die Namen der Pubs und der Leser bewegt sich mit den Charakteren durch die Stadt.
Wie die Hauptfiguren feststellen, dass bei ihnen nicht alles einhundertprozentig gut läuft, gefällt mir gut. Heimlich ihren Gedanken zu lauschen und festzustellen, ich bin gar nicht der einzige Mensch, der unsicher ist, Entscheidungen in Frage stellt und große Wünsche hegt, das festzustellen, tut gut.
Oft genug schmunzelte ich über die Figuren. Sie sind so menschlich. Joyce schafft es, sich in die verschiedensten Charaktere und ihre Gefühle zu versetzen und sie dabei auch noch glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Ich kann gar nicht sagen, welche mir am besten gefallen hat, aber in Erinnerung ist mir besonders Eveline. Die junge, weibliche Hauptfigur ist drauf und dran ihr trübes, trauriges Leben gegen das Glück einzutauschen. Doch sie wankt in ihrer Entscheidung. Diese Stelle hat mich sehr berührt, denn zu oft ärgern wir uns über verpasste Chancen und Dinge, die wir hätten tun oder lassen sollen. Eveline steht an einem Wendepunkt. Und bleibt stehen. Das ist zwar nicht gut, aber so wunderbar nachvollziehbar für mich!
Insgesamt hat mir die Geschichten-Sammlung sehr gut gefallen, denn sie zeigt das menschliche Wesen in seinen vielen Facetten, dumm, kleinkariert, ängstlich, überheblich, schief, nervös. Die Bewusstseinsströme bringen die Figuren dem Leser so nah, wie es sonst nichts vermag. Und dadurch stelle ich fest: Ist schon alles in Ordnung.
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Quelle:
* http://www.duden.de/rechtschreibung/Stream_of_Consciousness
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